Rebellion in Buenaventura
Kolumbien: In der Hafenstadt streiken Tausende seit Wochen gegen Armut und Gewalt
![]() 60 Prozent des Außenhandels Kolumbiens läuft über den Hafen von Buenaventura – normalerweise
Foto: REUTERS/Jaime Saldarriaga
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In Buenaventura, einer wichtigen Hafenstadt im Südwesten Kolumbiens, halten seit Mitte Mai die Proteste der Bevölkerung gegen ihre unhaltbaren Lebensumstände an. Zwar werden 60 Prozent des kolumbianischen Außenhandels und sogar 80 Prozent der Kaffeeexporte über diesen Standort abgewickelt, und zugleich ist die 400.000 Einwohner zählende Stadt ein wichtiger Standort für den sich entwickelnden Tourismus im Land. Doch hinter dieser glitzernden Fassade leben 64 Prozent der Einwohner in Armut, knapp zehn Prozent sind sogar von extremer Armut betroffen. Die Erwerbslosigkeit liegt nach offiziellen Angaben bei knapp 62 Prozent. Buenaventura verfügt nur über ein Krankenhaus mit mangelhaften Kapazitäten. Die Wasserversorgung ist so schlecht ausgebaut, dass eine Mehrheit der Einwohner zu Hause keinen Zugang zu sauberem Wasser hat. Daneben wird die Stadt durch die Gewalt bewaffneter Banden und paramilitärischer Gruppen erschüttert, die um den Zugang zu dem auch für den Drogenhandel wichtigen Hafen kämpfen.Die grassierende Korruption hat schließlich dazu geführt, dass staatliche Fördergelder, die zum Ausbau der Infrastruktur der Stadt bestimmt waren, nie ihr Ziel erreichten und von lokalen Eliten oder bewaffneten Gruppen eingestrichen werden.
Aus diesem Grund riefen am 15. Mai 117 Organisationen unter dem Motto »Das Volk wird nicht nachgeben, verdammt!« zu einem Generalstreik in der Stadt auf. Geschäfte wurden geschlossen, der Verkehr blockiert, es kam zu riesigen Demonstrationszügen mit mehr als 100.000 Teilnehmern. Auch der Hafen und das Tourismusgeschäft wurden bestreikt. Die Tageszeitung El Espectador berichtete bereits in der vergangenen Woche von erheblichen Umsatzeinbußen.
Immer wieder kommt es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Aufstandsbekämpfungseinheit ESMAD und den Protestierenden. Der Einsatz wurde von Präsident Juan Manuel Santos angeordnet, ohne dass es zuvor von Seiten der Demonstranten zu Gewalt gekommen war. Tatsächlich eskalierte die Situation erst nach dem Eintreffen der ESMAD, die in Kolumbien dafür bekannt ist, bei ihren Einsätzen auch Todesopfer in Kauf zu nehmen. Ein Jugendlicher starb, zahlreiche weitere Menschen wurden verletzt, berichtete am Samstag die kommunistische Wochenzeitung Voz.
Inzwischen hat die Regierung Vizeinnenminister Guillermo Rivera nach Buenaventura entsandt, um Sondierungsgespräche mit dem Streikkomitee zu führen. Seit dem vergangenen Dienstag verhandeln die Vertreter von Exekutive und Streikenden. Deren zentrale Forderung ist, Buenaventura zu einem Gebiet des ökonomischen und sozialen Notstands zu erklären. Das würde die schnelle Bereitstellung von staatlichen Geldern zur sofortigen Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur ermöglichen. Die Regierungsseite lehnte dies bereits mehrfach ab. Auch die Forderung nach einem Abzug der ESMAD-Einheiten blieb unbeantwortet. »Im Streikkomitee besteht der Eindruck, dass es seitens der Regierung keine Bereitschaft gibt, die Forderungen Buenaventuras zu erfüllen«, kritisierte die Verhandlungsdelegation der Protestierenden am vergangenen Freitag. An Aufgabe denken die Streikenden nicht, der Ausstand geht weiter.
Von Jan Schwab, Bogota
https://www.jungewelt.de/artikel/311538.rebellion-in-buenaventura.html
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