Bolivien: Erstmals parteiinterne Abstimmungen über Präsidentschaftskandidaten. Morales bestätigt. Opposition kann kaum mobilisieren

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»Zeichen für die Stärkung der Demokratie«: Präsident Evo Morales bei den Vorwahlen am Sonntag in Chapare

In Bolivien haben sich in parteiinternen Vorwahlen am Sonntag neun Kandidatenpaare für die Präsidentschaftswahlen am 29. Oktober behaupten können. Zu der Abstimmung waren insgesamt rund 1,7 Millionen Mitglieder von neun politischen Parteien und Organisationen aufgerufen worden. Wie das Oberste Wahlgericht (Tribunal Supremo Electoral, TSE) am Montag abend (Ortszeit) mitteilte, unterstützten dabei rund 38 Prozent von den etwa einer Million Mitgliedern der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) die erneute Kandidatur des Präsidenten und MAS-Spitzenkandidaten Evo Morales und seines Stellvertreters Álvaro García Linera. Damit liegt das Duo deutlich vor allen Mitbewerbern.

Die Kandidaten der acht Oppositionsparteien, die teilweise zum Boykott der Abstimmung aufgerufen hatten, aber trotzdem daran teilnahmen, konnten ihre 700.000 Anhänger dagegen kaum mobilisieren. Auf sie entfielen insgesamt weniger als 40.000 der abgegebenen Stimmen. Der bislang aussichtsreichste Oppositionskandidat, Expräsident Carlos Mesa, der gemeinsam mit seinem früheren Minister Gustavo Pedraza für das rund 88.000 Mitglieder zählende Bündnis »Comunidad Ciudadana« (CC) antritt, brachte nur knapp 4.500 Gefolgsleute an die Wahlurnen.

Evo Morales feierte seinen Erfolg als Bestätigung für die MAS und bezeichnete die Vorwahlen als »Zeichen für die Stärkung der Demokratie« in Bolivien. »Während die Kandidaten für das Amt des Präsidenten und seines Stellvertreters früher nur von den leitenden Funktionären der jeweiligen Parteien nominiert wurden, sei diese Entscheidung jetzt erstmals von deren Mitgliedern gefällt worden«, erklärte Morales am Montag. Er zeigte sich zuversichtlich, dass das neu eingeführte System zu mehr Basisbeteiligung und transparenteren Auswahlprozessen beitrage.

Kritikern, die darauf hinwiesen, dass nicht einmal 40 Prozent der MAS-Mitglieder seine Kandidatur unterstützten, hielt Morales entgegen, dass die Beteiligung bei der Präsidentschaftswahl 1993 trotz Wahlpflicht nur 30 Prozent betragen habe, während für die erstmals durchgeführten Vorwahlen keine Wahlpflicht bestünde. Da könne man 38 Prozent Wahlbeteiligung für die MAS durchaus als »historisches Ergebnis« bezeichnen, sagte der Präsident.

Während Morales und die Mehrzahl der MAS-Anhänger die Vorwahlen als eine Bereicherung der Demokratie begreifen, hatten Oppositionsgruppen zum Boykott der Abstimmung aufgerufen. Mit dem Stimmverzicht hatten sie auch ein Zeichen des Protestes gegen die Nominierung des Duos Evo Morales und Álvaro García Linera setzen und die mögliche Wiederwahl des ersten indigenen Präsidenten in der Geschichte des Landes verhindern wollen. Oppositionspolitiker bezeichneten die Vorwahlen als Instrument zur Legitimierung einer vierten Amtszeit von Morales. Dessen erneute Bewerbung war im Dezember 2018 vom Obersten Wahlgericht (Tribunal Supremo Electoral, TSE) zugelassen worden.

Die Opposition beruft sich trotz der Entscheidung des TSE auf ein Referendum vom Februar 2016, bei dem eine knappe Mehrheit gegen eine Verfassungsänderung gestimmt hatte, mit der die erneute Wiederwahl des Präsidenten ermöglicht werden sollte. Als lateinamerikanische Medien wie der Nachrichtensender Telesur und die mexikanische Tageszeitung La Jornada allerdings kurz nach der Abstimmung enthüllten, dass die US-Botschaft in La Paz die Kampagne gegen Morales mit rund 200 Millionen US-Dollar unterstützt hatte, zweifelten Vertreter sozialer Organisationen die Legitimität des Referendums an.

Im November 2017 gab das »Plurinationale Verfassungsgericht« den Beschwerdeführern Recht und machte damit den Weg für eine Wiederwahl von Morales frei. Im Oktober 2018 hatte das TSE dann beschlossen, dass die Präsidentschaftskandidaten der Parteien zunächst eine parteiinterne Vorwahl durchlaufen müssen, bevor sie offiziell zur Wahl antreten können. Dazu durfte am Sonntag von jeder politischen Partei jeweils nur zwei Kandidaten für die Ämter des Präsidenten und Vizepräsidenten aufgestellt werden. Mit dem Boykottaufruf zu den Vorwahlen, bei denen sie trotzdem ihre Kandidaten präsentierte, hat die Opposition jetzt offensichtlich ein Eigentor geschossen.

»Die Ergebnisse haben gezeigt, dass einige politische Gruppen in vielen Regionen des Landes nicht eine einzige Stimme erhielten«, erklärte Victor Borda, der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses (Cámara de Diputados) gegenüber der bolivianischen Nachrichtenagentur ABI. Borda schlug vor, dass Parteien deshalb künftig ein Minimum an Unterstützern nachweisen müssten, um an Wahlen teilnehmen zu können. Die Opposition bezeichnete die geringe Unterstützung für ihre Kandidaten dagegen als Folge und Erfolg ihrer Boykottaufrufe.

Kommunikationsminister Manuel Canelas sieht darin den Versuch, die fehlende Verankerung in der Bevölkerung zu kaschieren. Der frühere Präsident Carlos Mesa und sein Bündnis »Comunidad Ciudadana« könnten nicht leugnen, dass sie in vielen Teilen des Landes kaum Unterstützer hätten, sagte der Politiker. Zum Teil habe Mesa seine Niederlage selbst zu verantworten, da er sich zunächst vehement für das System der Vorwahlen ausgesprochen und später dann die Anhänger seiner Partei zur Stimmenthaltung aufgefordert hatte, erklärte Manuel Canelas in einer von ABI am Montag veröffentlichten Stellungnahme.

Volker Hermsdorf

https://www.jungewelt.de/artikel/348153.bolivien-zuversicht-und-boykott.html