Bolivien entscheidet am 21. Februar über eine Änderung der Verfassung
![]() Am 21. Oktober feierten die Anhänger von Evo Morales, dass er nun der am längsten amtierende Präsident in der Geschichte Boliviens ist
Foto: EPA/MARTIN ALIPAZ/dpa – Bildfunk
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Gewerkschaften, Bauernverbände, Vertreter von indigenen Gemeinden und soziale Organisationen in Bolivien rühren seit Monaten die Trommel für die Möglichkeit einer weiteren Wiederwahl von Evo Morales. Der indigene Präsident und sein Stellvertreter können zur nächsten Wahl im Jahr 2019 allerdings nur dann noch einmal antreten, wenn Artikel 168 der bestehenden Verfassung geändert wird. Darüber soll die Bevölkerung am 21. Februar in einem Referendum entscheiden. Das entsprechende Gesetz zur Volksbefragung über eine Verfassungsreform war am 5. November nach siebzehnstündiger Debatte vom Parlament beschlossen worden.
Der Ausgang des Referendums am 21. Februar wird weit über die Region hinaus mit Spannung erwartet. Nach den Erfolgen der Contra-Offensive in Argentinien und Venezuela würde ein Sieg der Anhänger des Präsidenten als Signal dafür gelten, dass der rechte Vormarsch in Lateinamerika gestoppt werden kann. Eine Niederlage des Morales-Lagers würde die Konflikte in der Region dagegen verschärfen. Bereits im Vorfeld tobt deshalb im Land ein erbitterter Kampf, in dem auch Washington und die regionalen Medienkonzerne kräftig mitmischen. Der Präsident hatte Mitte Januar im Fernsehen über Verbindungen rechter Oppositionspolitiker zum US-amerikanischen »National Democratic Institute for International Affairs« (NDI) berichtet. Das NDI, so Morales, koordiniere die Kampagne gegen die Verfassungsreform. In einem vom »Interamerican Institute for Democracy« (IID) erarbeiteten Strategieplan, informierte Senatspräsident José Alberto Gonzales wenig später, werde empfohlen, Politiker mit Denunziationen zu attackieren, soziale Bewegungen zu spalten, Proteste und Hungerstreiks zu provozieren sowie auf nationale und internationale Medien Einfluss zu nehmen, um die Regierung zu delegitimieren. Am Dienstag legte Kommunikationsministerin Marianela Paco in einer Pressekonferenz weitere Dokumente vor, mit denen sie eine Reihe namentlich genannter Politiker der Rechten beschuldigte, »Geld und Anweisungen aus den USA« zu erhalten.
Für die Änderung der Verfassung sprechen sich unter anderem der Gewerkschaftsdachverband COB, die Bauerngewerkschaft CSUTCB, indigene Gemeinden und zahlreiche soziale Organisationen aus. Mit den Worten »Nie wieder werden wir zulassen, dass neoliberale Regierungen unser Land beherrschen« rief Melva Hurtado, eine Sprecherin indigener Gemeinschaften aus dem Osten des Landes, zur Verteidigung des von Evo Morales eingeleiteten Prozesses auf. Für dessen Wiederwahl demonstrierten am 19. Dezember in Cochabamba mehr als 40.000 Menschen.
Noch nicht am Ziel
Seit zehn Jahren ist Evo Morales Präsident Boliviens. Er hat viel erreicht, doch der Kampf geht weiter
Von Volker Hermsdorf
![]() Boliviens Präsident Evo Morales
Foto: REUTERS/Christian Hartmann
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Der am 26. Oktober 1959 geborene Evo Morales Ayma ist der erste indigene Präsident des Andenstaates Bolivien. Er wuchs in ärmsten Verhältnissen auf, hütete als Kind Lamas im Altiplano (Hochebene) und half bei der Bestellung des Bodens. Als Schüler arbeitete er nebenher in einer Bäckerei. Die spärliche Freizeit verbrachte er mit seiner Band oder bei seinem Lieblingssport Fußball. Durch die harten Bedingungen starben vier seiner sechs Geschwister bereits im Kindesalter.
Als die Eltern im Hochland keine Lebensgrundlage mehr sahen, zogen sie in die Provinz Chapare, das Zentrum des Kokaanbaus. Morales wurde Anführer der Kokabauern und setzte sich als Gewerkschafter für seine Kollegen ein. Politisch engagierte er sich zunächst in der »Izquierda Unida« (Vereinigte Linke), seit Ende der 1990er Jahre in der Partei »Movimiento al Socialismo« (MAS), als deren charismatischer Anführer er am 18. Dezember 2005 mit 54 Prozent in das höchste Staatsamt gewählt wurde. Heute vor zehn Jahren trat Evo Morales das Amt des Präsidenten an. Bereits im Mai 2006 erfüllte er eines seiner wichtigsten Wahlversprechen und leitete die Verstaatlichung des Erdöl- und Erdgassektors ein. Unter Morales Führung wurde zudem eine neue Verfassung ausgearbeitet, die 2009 in einem Volksentscheid angenommen wurde. Seither versteht sich Bolivien als »plurinationaler Staat«, der den indigenen Gemeinschaften weitgehende Selbstbestimmungsrechte einräumt. Außerdem führte der Präsident sein Land 2006 in die zwei Jahre zuvor von Kuba und Venezuela gegründete Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA).
Im Dezember 2009 wurde er mit 64 Prozent der Stimmen, fünf Jahre später mit 61 Prozent als Präsident wiedergewählt. Im Herbst 2009 ernannte die Generalversammlung der Vereinten Nationen Morales zum »World Hero of Mother Earth« (Weltheld der Mutter Erde) und Fidel Castro zum »World Hero of Solidarity« (Weltheld der Solidarität). Der Aymara, der sich als Antikapitalist und Antiimperialist versteht, sieht in Fidel Castro das »Symbol für den Wandel zu einem neuen Südamerika«. (vh)
Am heutigen Freitag begeht Boliviens erster indigener Präsident ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliches Jubiläum. Vor zehn Jahren zog mit dem ehemaligen Kokabauern und Gewerkschafter Evo Morales ein Mann in den »Palacio Quemado« genannten Präsidentschaftspalast von La Paz, der gut 50 Jahre zuvor noch nicht einmal hätte wählen dürfen. Der indigenen Bevölkerung wurden in dem Andenstaat erst 1952 die Bürgerrechte, darunter das aktive und passive Wahlrecht, verliehen. »Eure Politik sind Schaufel und Hacke«, erinnert Morales an den Umgang mit den Ureinwohnern in dieser Zeit. Heute ist der Aymara nicht nur sehr beliebt, sondern von allen bisherigen Präsidenten Boliviens mit zehn Jahren auch am längsten im Amt. Die neun Jahre und zehn Monate des bisherigen Rekordhalters Andrés de Santa Cruz (1829–1839) hat er bereits übertroffen. Sollte die Bevölkerung sich im kommenden Monat für eine Änderung der Verfassung aussprechen, könnte Morales 2019 sogar für eine weitere Amtszeit kandidieren.Das Geheimnis seines Erfolges liegt in der Stabilität, die ihm der nach Simón Bolívar, dem Befreier Südamerikas von der spanischen Kolonialherrschaft, benannte Staat verdankt. Als eines der reichsten Gebiete des ehemaligen spanischen Kolonialreiches zählte Bolivien bis vor gut zehn Jahren zu den ärmsten Ländern der Region. Militärputsche und Staatsstreiche, eine mit Gewalt und Terror herrschende Oligarchie, die sich mit ausländischen, vorwiegend US-amerikanischen Konzernen arrangierte, hatten über Jahrzehnte Chaos angerichtet. Zur Jahrtausendwende lebten zwei Drittel der Bevölkerung in Armut, 40 Prozent waren sogar dazu verdammt, in extremer Armut zu vegetieren. Die Kindersterblichkeit lag mit 110 pro tausend Lebendgeburten noch über der von Guatemala und Haiti, und die durchschnittliche Lebenserwartung betrug gerade einmal 53 Jahre.
In seiner zehnjährigen Amtszeit haben Evo Morales und die Regierungspartei »Movimiento al Socialismo« (Bewegung zum Sozialismus, MAS) aus Bolivien ein anderes Land gemacht. Voraussetzung dafür war die konsequente Veränderung der bisherigen politischen Verhältnisse. Allein durch die Verstaatlichung der Erdgasindustrie konnten die Staatseinnahmen erheblich gesteigert werden. Es gibt keinen Zugriff ausländischer Konzerne auf Boliviens Bodenschätze mehr, was sich für das Land auszahlt: Bis 2013 konnten die Exporte nahezu verzehnfacht werden. Ein weiterer wichtiger Schritt waren die Integration in fortschrittliche Regionalbündnisse wie die Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) und das 2006 in deren Rahmen mit Kuba und Venezuela unterzeichnete Abkommen über einen »Handelsvertrag der Völker« (TCP), mit dem solidarische Handelsbeziehungen zwischen den drei Staaten etabliert wurden. So verpflichteten sich Kuba und Venezuela unter anderem, Bolivien mit Programmen zur Alphabetisierung und Gesundheitsversorgung zu unterstützen. Mit Hilfe der von Kuba entwickelten Lehrmethode »Yo Sí Puedo« (Ja, ich kann es) lernten in kurzer Zeit rund eine Million Menschen Lesen und Schreiben. Morales verdreifachte zudem nach seinem Regierungsantritt 2006 die Ausgaben für den Bildungsbereich, mit dem Ergebnis, dass die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) Bolivien 2014 zu einem »vom Analphabetismus befreiten Land« erklärte. Auch die extreme Armut und die soziale Ungleichheit konnten reduziert werden. Der Anteil der Armen wurde von 38 auf 18 Prozent, die Arbeitslosenquote von rund neun auf drei Prozent gesenkt. Im Jahr 2015 erreichte die Bevölkerung Boliviens einen Lebensstandard, der mit dem in vielen anderen Ländern der Region vergleichbar ist. Die Ausrufung zum »plurinationalen Staat« hatte weitere messbare Konsequenzen. In Bolivien gehören heute so viele Ureinwohner und Frauen den Parlamenten an, wie in keinem anderen Land Südamerikas. Dies alles, sagt Morales, »sind die Früchte eines langen Kampfes gegen Kolonialismus und Neoliberalismus«.
Doch dem bisher erfolgreichsten Präsidenten des knapp elf Millionen Einwohner zählenden Landes reichen diese Verbesserungen nicht. Morales verfolgt weiterhin ehrgeizige Ziele. Zum Jahreswechsel stellte er den Plan für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Jahre 2016 bis 2020 vor. In diesem Zeitraum sollen die extreme Armut von 17,3 auf 9,5 Prozent gesenkt sowie die Kinder- und Müttersterblichkeit weiter verringert werden. Mit rund 1,7 Milliarden Dollar will der Staat das Gesundheitswesen ausbauen und modernisieren. Weitere Investitionen sind für den Bau und die Renovierung von jeweils über 50.000 Wohnungen vorgesehen. Unter anderem ist ein Programm zur Versorgung obdachloser lediger Mütter mit Wohnraum vorgesehen. Staatliche Großinvestitionen sollen außerdem in den Bildungsbereich, die landesweite Entwicklung alternativer Energieprojekte, Infrastrukturmaßnahmen und die Land- und Forstwirtschaft fließen.
Morales ist weiter auf Erfolgskurs, obwohl die USA seit Jahren versuchen, die Regierung des Landes zu destabilisieren. Nach Anstiftung und Unterstützung gewalttätiger Umstürzler erklärte Bolivien den US-Botschafter Philip Goldberg im Jahr 2008 zur Persona non grata und verwies ihn des Landes. Doch Washington zündelte weiter. Im Juli 2013 musste Boliviens Präsidentenmaschine mit Morales an Bord während eines Rückflugs aus Russland in Wien zwischenlanden, weil ihr mehrere europäische Länder auf Druck der USA die Überflugrechte verweigert hatten – ein einmaliger Bruch internationaler Abkommen. Trotz derartiger und aktueller Provokationen erklärte Morales sich Anfang der Woche zur Normalisierung der diplomatischen Beziehungen bereit, nachdem Vertreter Washingtons ein mögliches Zusammentreffen mit US-Präsident Barack Obama in diesem Jahr angekündigt hatten. Bolivien sei dafür aufgeschlossen, sagte er im Fernsehen, wenn die US-Vertreter nicht kämen, um wie früher zu konspirieren, sondern sich an die internationalen Regeln des gegenseitigen Respekts hielten.
Von Volker Hermsdorf
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